
#SHORTCUT Harf Zimmermann

Harf Zimmermann war einer der sieben Gründer der legendären Agentur OSTKREUZ und fotografierte für internationale Magazine. Mehr als 10 Jahre nach Abkehr von der journalistischen Arbeit ist Harf Zimmermann nun endgültig zum Großformat zurückgekehrt. Mit diesem „loop“ ist seine künstlerische Biographie besonders.
Im Interview spricht Julia Rosenbaum von StudioVisits mit Harf Zimmermann über seine künstlerische Arbeit.
Julia Rosenbaum / StudioVisits: Beginnen wir am Anfang: Wie kamst Du zur Kunst oder wie kam die Kunst zu Dir?
Harf Zimmermann: Als ich 12 war, bekam mein mittlerer Bruder – ich bin der jüngste von dreien – zur Jugendweihe einen Fotoapparat und eine kleine Dunkelkammerausrüstung, die im Keller installiert wurde. Meine Eltern hatten für ihn eine Laufbahn als Bildreporter vorgesehen. Mir hat sofort alles gefallen, was mit Fotografieren, Entwickeln usw. zu tun hat. Ich habe die Dunkelkammer mehr genutzt als er und ich bin seither nie wieder ohne eigene Dunkelkammer gewesen. Von Kunst war da freilich noch keine Rede, das kam alles später, als ich zu Hause raus war. Meinen Eltern zuliebe hatte ich zunächst ein Journalistikstudium begonnen, mit der Ausrichtung Bildjournalistik, aber das war ein Irrtum. Bei meiner Bewerbung an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) in Leipzig war ich ein ziemlich unbeschriebenes Blatt, und ich bin heute noch dankbar, dass ich überhaupt angenommen wurde. Es wurden ja nur vier Studienplätze jedes Jahr vergeben. Die Hochschule dann zu erleben mit ihren Werkstätten, den zum Teil herausragenden Lehrern, mit der gesamten Atmosphäre, in der es immer und immer wieder um Bilder ging, gleich ob Malerei oder Fotografie – besser hätte mein Start nicht sein können.
1981 ziehst Du in die Hufelandstraße 31. Zwischen 1986 und 1987 fotografierst Du mit der Großformatkamera Ladenbesitzer, Bewohner, Verkäufer und Fußgänger auf der Strasse in der Ost-Berliner Hufelandstraße. Die Serie, die bisher nur zwei mal in Deutschland gezeigt wurde – 1989 kurz vor dem Mauerfall und 2017 bei C/O Berlin und letztes Jahr in New York – erschien als Buch im Steidl Verlag. Was genau hat Dich damals an dieser Straße interessiert?
Einfach alles. Dieser Ort war für mich eine Offenbarung. Das Leben schien hier ein vollkommen anderes zu sein, als ich es bis dahin kannte. Es war noch etwas übrig vom einstigen Glanz der Gründerjahre. Es gab schöne Hausfassaden, stolze Linden, Wohnungen mit Dienstbotenaufgängen, Badewannen mit Löwenfüßen, jede Menge kleiner Geschäfte und Gewerke, die andernorts längst enteignet waren, die Welt war noch in Ordnung. Und während ansonsten fast überall das Land mehr oder weniger aufgab, stemmte man sich hier dem Niedergang entgegen. Aber die Einschläge rückten näher, das Grau war auch hier nicht aufzuhalten, da wollte ich wenigstens fotografisch noch etwas bewahren. Während dieser Arbeit habe ich mich dann endgültig für die Großformatfotografie entschieden.
Gab es für Dich vorab bestimmte Inspirationen bzw. Vorbilder?
An der Kunsthochschule habe ich mich zunächst vor allem Arno Fischer überlassen. Ein Live-Fotograf, der Großformatfotografie auch eigentlich nicht so recht mochte. Er war der erste, den ich überzeugen musste, dass es Sinn ergibt, Kameras so groß wie Nachtschränkchen durch die Gegend zu schleppen. Er hat mich auch bekannt gemacht mit Bruce Davidsons „New York East 100th Street“. Der ist in den 70er Jahren als Weißer nach Harlem gegangen und hat sich damit nicht nur in eine komplett schwarze Gegend gewagt, die von Weißen ansonsten gemieden wurde, er hat mit einer Großformatkamera fotografiert und damit das Vertrauen der Leute gewonnen. Seine Bilder sind Innenansichten von Harlem, die man so noch nicht kannte. In der Hufelandstraße war nichts Gefährliches, aber mit dem Vertrauen war es genau das gleiche. Dann Eugen Adget, der das alte Paris und seine Bewohner dokumentierte, ehe es für immer verschwand. Von den deutschen Klassikern natürlich August Sander. Und die sozialdokumentarische Fotografie in den USA, vom 19. Jahrhundert bis in die Neuzeit, von Mathew Brady in den Sezessionskriegen bis zur Arbeit für die Farm Security Administration Ende der 1930 Jahre, die ich ebenfalls durch Arno kannte. Alles großartige Schwarzweißfotografie, präzise in ihrer Aussage und faszinierend in ihrer Ästhetik.
Wie wichtig ist es Dir, in Deiner Arbeit auch Zufälle, das Unvollkommene einzubauen?
Das Unvollkommene soll vom Gegenstand kommen, nicht von mir. Ich versuche an meinem Ende immer, Zufälle auszuschließen und alles zu planen, inklusive Sonnenstand. Trotz aller Planung passiert aber oft etwas, mit dem ich überhaupt nicht rechne. Was immer da meine Pläne kreuzt, macht entweder das Bild zunichte – dann gehe ich später noch mal hin und versuche es noch mal und noch mal – oder manchmal ist das, was passiert, viel besser als mein Plan. Bei einigen Bildern habe ich erst nach Jahren begriffen, dass das Interessanteste daran genau das ist, was mich seinerzeit am meisten gestört hat.
Du arbeitest mit der Großformatkamera. Was fasziniert Dich auch heute noch im digitalen Zeitalter an dieser analogen Technik?
Einfach alles. Die Art der Annäherung, das Bedenken, das Komponieren auf der Mattscheibe, das Alleinsein unter dem schwarzen Tuch, das Betrachten, Probieren, Zweifeln, Ändern. Ätzend für jeden, der dabei sein muss, wie zum Beispiel jüngere Assistenten. Für mich ist das alles sehr erfüllend. Es ist viel körperliche Mühe dabei und im wahrsten Sinne Handwerk, das ich liebe. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der die Bezeichnung Produkt einer Sache vorbehalten war, die man anfassen konnte.
Gibt es Kolleginnen oder Kollegen, mit denen Du in intensivem Austausch stehst?
Meine „Brothers in Arms“ sind dieser Tage weit verstreut auf der Landkarte. Während des Studiums und noch lange danach war Arno Fischer ein großartiger Zuhörer, Betrachter und Kritiker und enorm wichtig für mich. In der Anfangszeit von OSTKREUZ haben wir uns dann unsere Geschichten gezeigt und gegenseitig Korrekturen gegeben, schonungslos. Das passierte quasi nebenbei. Man sah sich oft in der Agentur, wo ja auch immer viel Arbeit für die Gemeinschaft zu erledigen war, was uns zu Anfang sehr verbunden hat. Jetzt sind die Gelegenheiten naturgemäß seltener, dafür aber hochkarätiger und internationaler. Ich tausche mich oft aus mit meinem Freund Robert Polidori, dem ich entscheidende Impulse verdanke, der aber leider von New York nach Kalifornien gezogen ist, was die Sache erschwert. Und mit den vielen wunderbaren Kollegen aus aller Welt, die man bei Steidl trifft, während man wartet. Da ist ganz ähnlich wie früher bei OSTKREUZ, nur nicht so regelmäßig.
Interessiert Dich als Fotograf eher das Unbekannte, um die Welt zu verstehen und anzueignen, oder willst Du mit Deiner Fotografie das Bekannte sichtbar machen?
Das Unbekannte nimmt seit 1826, als das erste fotografische Bild veröffentlicht wurde, stetig ab mit exponentieller Beschleunigung. Heute ist eine Sache im selben Augenblick fotografiert und verbreitet, in dem sie passiert. Es ist stets jemand da mit einem Handy oder irgend etwas anderem, wenn es nicht sowieso einen Livestream gibt. Also um das Unbekannte kann es in der Fotografie kaum noch gehen, das stürmt ständig auf uns ein und lässt uns kaum noch Zeit, das angeblich Bekannte richtig wahrzunehmen. Da komme ich ins Spiel.
Was war in Deiner bisherigen Karriere die wichtigste Anerkennung, was die größte Enttäuschung?
Ich hatte weltweit Geschichten in Magazinen, inklusive Titelfotos, das ist großartig, immer wieder aufs Neue. Die dauerhaft wunderbaren Momente waren aber meine wichtigen Ausstellungen: die „Hufelandstraße“ bei C/O Berlin und in New York, die erste Ausstellung von „BRAND WAND“ in der Alfred-Ehrhardt-Stiftung in Berlin. Und natürlich die Bücher bei Steidl. Ich arbeite lange und intensiv an der selben Sache, und wenn dann der Vorhang hochgeht, ist das wie Ausatmen. Bei den Enttäuschungen gibt es kein Ranking, die sind einfach ständige Begleiter, sozusagen built-in.
Was kann Kunst Deiner Meinung nach in dieser Situation wie der Coronakrise ausrichten?
Für Kunst muss immer Platz sein, sonst geht es nicht mehr lange mit uns. Etwas Messbares ausrichten kann sie in meinen Augen ganz selten und wenn, dann unter extremen Bedingungen. Fotografie im Speziellen kann zwar dokumentieren, jedoch fotografieren die Leute auch ohne Corona schon mehr als genug ihren eigenen Bauchnabel. Wenn sie das jetzt erst recht tun, weil sie nicht raus dürfen, könnte das bestenfalls eine soziologische Fotostudie werden. Also vorsichtig gesagt: Es wird vermutlich wenige Bilder aus dieser Zeit geben, die überraschend und von Dauer sind, die als Kunst herausragen und für sich sprechen. Menschliche Schicksale sind natürlich immer interessant, auch unter diesen Bedingungen. Das „ZEITmagazin“ beispielsweise hatte eine gute Reportage über Menschen in der Krise, deutschlandweit, von einem ganz jungen Kollegen. Die Serie war informativ und unaufgeregt. Vielleicht kommen auch aus anderen Ländern noch erwähnenswerte Geschichten. Die große Frage, der Elefant im Raum, war bereits vorher da und ist jetzt nur noch unausweichlicher geworden: Was kann die Fotografie überhaupt noch, wenn sie von jedem Ding bereits weiß, wie es aussieht? So tun, als wüsste sie es nicht?
Interview: Julia Rosenbaum
(gekürzt)
© Harf Zimmermann, from the series THE E
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