Alexander Gehring, "Blätter"

INTERVIEW // Alexander Gehring „The Alchemy of Colour“

By Nadine Ethner

Alexander Gehring, ausgezeichnet mit dem Merck Preis der Darmstädter Tage der Fotografie 2016, zeigt in der Ausstellung „The Alchemy of Colour“, dass sich das Medium Fotografie hervorragend dazu eignet, um Grenzen auszuloten und zu verschieben. Der Fotograf ist hier Schöpfer, der die Stofflichkeit zur Feinstofflichkeit hin verschiebt und einen Stoff in einen anderen Stoff wandelt. Auch in einer seiner letzten Arbeiten beschäftigte sich Alexander Gehring mit der spirituellen Übertragung von einem Medium in ein anderes. In „Messages from the Darkroom“ beleuchtete er spirituelle und transzendente Sitzungen, Séancen, um diese dann im übertragenen Sinne im Bilde festzuhalten. Hier in „The Alchemy of Colour“ gibt Alexander Gehring Einblicke in seine Recherche über Alchemie.

VTph magazine: Alexander, für die Serie „The Alchemy of Colour“ hattest du unterschiedliche Bilddimensionen gewählt. Sind es Fragmente aus verschiedenen Serien, die du zusammenstellt hattest oder ist es eine einzige Serie, die du in einer bestimmten Reihenfolge zeigst?

Alexander Gehring: In dieser Ausstellung wollte ich mich vor allem von meiner letzten Arbeit „Messages from the Darkroom“ lösen und viel freier sein. Es ging mir dieses mal nicht um eine dezidierte Geschichte, sondern um verschiedene Symbole, die ich mit einfließen ließ und die meine Recherchen zum Thema Alchemie involvieren. Der Alchemist, der die Grundform der heutigen Chemie legte, bringt verschiedene Prozesse durch das Experimentieren und Forschen in Gang. Ich wollte einige Fragmente aus dieser verschollenen Wissenschaft zurückführen, die mich wirklich fasziniert, denn ich habe den Eindruck, dass das Wissen um die Dunkelkammer nun auch zu einer Art Geheimwissen wird, weil uns dieses Wissen in der digitalen Welt fehlt. Die Verbindung von Chemikalien birgt immer ein Geheimnis. Und jeder, der selbst einmal in der Dunkelkammer war und verschiedene Lösungen zusammengemischt hatte, weiß, dass man sich in der Dunkelkammer immer ein bisschen fühlt, als wäre man selbst Alchimist. Für die vorangegangene Arbeit „Messages from the Darkroom“ hatte ich auch sehr viel fotografiert und ich hatte sogar im Labor fotografiert. Aber hier in dieser Arbeit war es eher unkonkret und offen. Erst in der Dunkelkammer habe ich angefangen zu sortieren und zu schauen, was mich wirklich interessierte.

Hattest du auf die Farben besonderen Wert gelegt?

Farben haben in der Alchemie immer eine Bedeutung, Rot und Blau zum Beispiel. Das Gold ist sehr stark besetzt: Es ist das Material der Alchemisten. Auch das Rubinglas ist durch eine alchemische Herangehensweisen entstanden – und hier bekommt meine Serie auch wieder den Bezug zur Dunkelkammer. Aus diesem Grund habe ich drei Abzüge mit handgezogenem Rubinglas rahmen lassen, und nur wenn die Sonne scheint, leuchtet der Glasrahmen rot. Die Fotos besitzen dann eine sehr stark Kraft!

Viele Kirchenglasfenster bestehen aus Rubinglas, da es diese besondere Strahlkraft hat. Soll durch das Rubinglas auch ein Bezug zu religiösen Orten entstehen?

In meiner Serie möchte ich, dass sich etwas Esoterisches zeigt. Der Sinn alchemistischer Symbole ist ja, dass man sie nicht versteht. Nur Eingeweihte können diese Symbole der Alchemisten verstehen. Jeder Planet ist z.B. einem Metall zugeordnet: die Venus dem Kupfer oder der Mars dem Eisen. Aber ich wollte auf keinen Fall die Symbolik konkret nachstellen und der Betrachter sollte auch keine Entschlüsselung von mir vorgesetzt bekommen. Ich wünsche mir eher, dass der Betrachter Lust auf ein Geheimnis hat…

In dieser Serie übermalst du die Abzüge mit Lasurfarben. Wie kam es dazu?

Es war kein einfacher Prozess. Meine Arbeit besteht nur aus Handabzügen, einige habe ich in meinem eigenen Labor entwickelt, für andere mußte ich mir ein Labor anmieten, da es dort auch ein Vergrößerungsgerät gab, mit dem ich auf die Bildgröße von 100 x 100 cm vergrößern konnte. Die Lasurfarbe wollte ich natürlich auf meinen kleinen Handabzügen erst einmal ausprobieren und auch bei den großen Abzügen variierte das Endresultat. Bei jedem Abzug ist es dann tatsächlich so, dass am Ende ein Unikat vorhanden ist.

In dem Diptychon „Temple (Darkroom)“/„Blätter“ zeige ich zum Beispiel einen Tempel von Rudolf Steiner. Diesen Abzug habe ich ebenso mit Rubinglas versehen lassen. Und neben dem rot gerahmten Bild „Temple (Darkroom)“ zeige ich das Bild „Blätter“, welches ich mit blauer Lasurfarbe übermalt habe. Der Tempel selbst hat die Form eines Hexagrammes, welches ebenso ein Symbol der Alchemisten ist. Rudolf Steiner hatte sich mit vielen verschiedenen Dingen auseinandergesetzt, auch mit der Farbenlehre von Goethe. Farbe hat eine Energie und Farbe ist immer auch ausschlaggebend für Wohlbefinden und für Gesundheit.

Ursprünglich wollte ich eine Arbeit über Rudolf Steiner machen, aber bei längerem Nachdenken darüber, ist mir aufgefallen, dass Rudolf Steiner ein zu komplexes Thema ist und er als Figur schon so besetzt ist. Einen fotografischen Zugang konnte ich nach längerem Suchen leider nicht finden. Aber ich war trotzdem fasziniert von ihm, denn er ist einer der letzten Mystiker unserer modernen Zeit. Parallel war er ein sehr modern denkender Mensch. Er verband innovative Gedanken mit einem starken Mystizismus. Man sieht ja auch später wie andere Künstler, wie z.B. Joseph Beuys die ganze Problematik der Energien und dass alles miteinander verbunden ist, wieder aufgriff. Rudolf Steiner muss man im Kontext sehen – aber seiner Zeit war er schon voraus. Dieser Tempel steht in Malsch, er wurde nach den Entwürfen von Rudolf Steiner erbaut und auch von ihm eingeweiht. Hier wurden Menschen in die Anthroposophie aufgenommen – initiiert. Er ist komplett dunkel, nur ganz oben in der Decke gibt es eine kleine Öffnung. Als ich dort war, erinnerte mich die Atmosphäre wirklich an eine Dunkelkammer mit nur einer vagen Lichtquelle – ein Ort, wo in der Dunkelheit etwas entsteht. Dieser Ort war immer auch ein heiliger Ort für Fotografen. Diese Analogie fand ich sehr spannend.

Wo befindet sich deine Dunkelkammer?

In Berlin! Mit einer Gruppe von zehn Kollegen besitzen wir ein gemeinsames Labor im Prenzlauer Berg. Ich erarbeite dort viele meiner Serien. Und genau das ist es auch, was mich am Entwickeln der Bilder so interessiert: die analoge Arbeitsweise, die Zeit, die ich im Labor verbringe und dann das Endergebnis. Für meine Auftragsarbeiten arbeite ich natürlich auch digital, weil es im Hinblick auf Kosten und Zeitersparnis gar nicht mehr anders geht. Eine Langsamkeit erlaube ich mir nur mit meinen eigenen künstlerischen Arbeiten.

Gibt es für dich einen Konflikt zwischen digital und analog?

Nein, überhaupt nicht. Beides hat seine Berechtigung. Aber ich weiß auch, wie wichtig der analoge Prozess für mich ist und was die Erneuerung für mich bedeutet hatte. Ich komme ja aus einer Generation, die diesen Übergangsprozess von analog zu digital hautnah miterlebt hatte. Dieser Transformationsprozess ist immer noch spürbar. Wenn ich nur daran denke, wieviel tolle Negativfilme – ob Schwarzweiss oder Farbe und das dazugehörige Papier – einfach nicht mehr erhältlich sind! Ich bin in einer Generation aufgewachsen, die den Umschwung miterlebt hatte, als es kippte. Es gibt kein Zurück mehr! Selbst an vielen Hochschulen arbeiten die Studenten nur noch digital und gehen schon gar nicht mehr ins Fotolabor. Und sie wissen auch nicht mehr wie Salze miteinander reagieren oder warum ein latentes Bild erscheint.

Stimmt dich das etwas melancholisch?

Ich habe einfach das Bedürfnis, davon noch ein bisschen zu erzählen. Man verabschiedet ja auch eine Technik, die uns Künstler und Fotografen über 180 Jahre lang begleitet hatte. Daher kam ich auch auf die Idee, in meiner Arbeit das Magische darin einzufangen und anzuhalten. In der Fotografie geht es ja auch ganz oft um Magie: Wann genau erscheint das Bild auf dem Papier? Wie ist die richtige Einstellzeit? Es sind manchmal ganz praktische Dinge, die zur Magie führen. Es sind diese ersten Anfänge der Fotografie, die ich durch den Prozess wieder ins Hier und Jetzt bringe, sodass man das Fotografieren auch heute noch als magisches Ritual versteht. Die Serie selbst ist am Wachsen. Manche Abzüge sind nur durch puren Zufall passiert und beim Experimentieren gab es oft Einstellungen, die extrem waren, aber die brachten mich zum besten Ergebnis. Am Ende ist alles Experiment!

Interview: Nadine Ethner

© Alexander Gehring “Blätter”, aus: 'The Alchemy of Colour', 2018