Anton Roland Laub, aus der Serie "Mobile Churches"

INTERVIEW // Anton Roland Laub "Mobile Churches"

VTph magazine: Anton, deine Serie „Mobile Churches“ findet seit dem Erscheinen des Buches und seit den ersten Ausstellungen starke internationale Beachtung. Du zeigst in dieser Serie hauptsächlich verschiedene Außenaufnahmen von rumänischen orthodoxen Kirchen, die unter dem Regime Ceaușescu seinen Prachtstraßen weichen mussten und ihr ursprüngliches Fundament in ihrem Stadtviertel verlassen mussten. Erzähl´ uns bitte mehr von dieser Serie.

Anton Roland Laub: Es war ein radikales Eingreifen. Wenn wir bedenken, dass sich beim Bau einer Kirche die Baumeister nach bestimmten Himmelsrichtungen richteten und sich Gedanken zur Ausrichtung der Kirche machten – da jede Kirche eine ganz bestimmte Ausrichtung bekommt und die Altare in Richtung Jerusalem zeigen sollten – erscheint dieses Versetzen der Kirchen unter Ceaușescu absurd. Diese Kirchen wurden im wahrsten Sinne des Wortes entwurzelt. Viele der Kirchen wurden durch diese Versetzung auch leicht gedreht, manche sogar bis zu dreizehn Grad. Sie durften weder an der für sie bestimmten Stelle bleiben, noch in ihrer eigens für sie berechneten Ausrichtung.

Einige wenige Innenaufnahmen, die du in das Projekt integriert hattest, zeigen einen Schutzraum voller Fresken, ganz so, als könnte man die Versetzung und Verdrehung der Kirchen für einen Moment vergessen, sobald man sich im Inneren der Kirche befindet?

Die Innenräume  der Kirchen blieben beladen – mit all ihrer Enge, den Fresken und auch dem gedämpften Lichteinfall – sodass man die Intimität der Kirchen weiterhin erspüren konnte. Im Verhältnis zu anderen europäischen Metropolen sind die orthodoxen Kirchen in Rumänien sehr klein und intim. Man findet den Samowar neben einem Warmwasserboiler vor, einen Feuerlöscher neben dem holzgeschnittenen Thron eines Patriarchen und Schilder, welche die Menschen auf kleine, alltägliche Rituale im Gotteshaus hinweisen. Für viele Menschen war die Kirche daher seit eh und je Gebets- und Schutzraum vor dem politischen Außen. Außerdem besitzen die rumänischen Kirchen nicht die Größe, das Grandiose und das Monumentale wie z.B. viele katholische Kirchen in Rom, aber dafür sind sie wirklich in jedem Kiez der Stadt zu finden und werden oftmals ganz liebevoll nach ihren Stiftern und mit unterschiedlichen Spitznamen benannt. 

Als ich die älteste Kirche, die Sankt-Nikolaus-Kirche des Klosters „Mihai Vodă“, betrat, war ich jedoch sehr schockiert, denn ich erkannte, dass auf dem großen Kirchenfresko der Marschall Antonescu abgebildet war. Er war ein Handlanger Hitlers und war damals verantwortlich für den Holocaust von mehr als 350 000 Juden in Rumänien. Auf dem Fresko dieser Kirche ist er neben wichtigen Heiligen zu sehen – so als sei er ihnen ebenbürtig. Damit wurde er ganz bewusst auf die gleiche Ebene mit den Patriarchen und dem Stifter der Kirche gestellt. Wenn man bedenkt, dass der rumänische Holocaust nicht offen behandelt wird und hierzu kaum Recherchematerial öffentlich zugänglich ist, ist mir aufgrund dessen dieses Bild sehr wichtig, um auch heute die Rumänen mit ihrer Geschichte und ihrer Erinnerung zu konfrontieren.

In dem Buch und auch in den Ausstellungen stellst du deiner eigenen Arbeit bewusst Archivaufnahmen gegenüber, die hauptsächlich aus dem Archiv vom Ingenieur Eugène Ionesco entstammen. Wie wichtig war es dir, gleichzeitig einen historischen Bezug zu schaffen?

Der Ingenieur Eugène Ionesco, der die Kirchen Dank seiner vielseitigen Ingenieurskunst versetzen konnte, hatte mir freundlicher Weise sein Archivmaterial jener Zeit zur Verfügung gestellt und ich durfte ihn auch für mein Projekt zu der damaligen Aktion und seine Ingenieurskunst befragen. Er war der einzige Architekt, der in den 80er Jahren vom Ceaușescu Regime beauftragt wurde, die Versetzung der Kirchen zu planen und durchzuführen. Die Altstadt von Bukarest wurde durch die Systematisierung Ceaușescus in den 80er Jahren massiv zerstört. Ein Drittel der Altstadt wurde abgerissenen und fiel diesem Programm zum Opfer. Das ganze Land befand sich unter der sogenannten Systematisierung: Dörfer wurden komplett abgerissen und dem Boden gleich gemacht, die Bauern sollten zu Stadtarbeitern werden und in der Industrie sowie in Fabriken arbeiten. Aber nicht nur Kirchen wurden dem Erdboden gleich gemacht – auch jüdische Synagogen wurden abgerissen, und falls einzelne Synagogen oder Kirchen doch noch zu sehen waren, wurden sie von der Architektur sozialistischer Plattenbauten komplett verdeckt.

Gab es damals einen rumänischen Denkmalschutz oder musste tatsächlich erst die UNESCO darauf aufmerksam gemacht werden?

Dank eines Briefes von Künstlern und Intellektuellen in Rumänien, die sich damals bei der UNESCO, der Weltkulturerbestätte, über den brutalen Abriss der Stadtbezirke und Kirchen beschwerten, konnten einige Kirchen aufgrund des Protestes gerettet werden. 

Und diese wenigen Kirchen, die der Ingenieur Eugène Ionesco so vor ihrer Zerstörung bewahrte, konnte er auch nur durch Versetzungen und Verdrehungen retten, sodass die Prachtstrassen, die auf dem Reißbrett geplant wurden, zwar über dem ehemaligen Kirchenfundament verliefen, aber einige Kirchen nicht mehr durchkreuzen konnten. Auch hier stellte sich natürlich die Frage: Warum wurde die eine Kirche versetzt und die andere nicht? Manche Kirchen wurden dadurch plötzlich wichtiger als andere. 

In deinen Bildern sind Ebenen von verschiedenen zeitlichen Epochen sichtbar. Schichten und Bildebenen mischen sich und ergeben ein Konglomerat. War es die Mischung von urbanen Zeichen, die sich im Stadtraum übereinander lagern, die dich hier fotografisch reizten?

Ich fotografiere im öffentlichen Raum und hier mischen sich sehr oft kapitalistische Schriftzüge bekannter Marken mit religiösen Orten und Bauten. Es ist ein merkwürdiges Gemisch in Bukarest! Einerseits sehen wir die Kirchen, die verdrängt wurden, aber dafür strahlen sie um so mehr inmitten der Schriftzüge und Werbebanner internationaler Unternehmen. Unmittelbar daneben sehen wir sozialistische Plattenbauten, deren Außenfassaden verrotten. Und vor Ort können wir nie alles gleichzeitig sehen, weder die Fassade der Plattenbauten noch die Kirchen. Ich musste manche Kirchen sogar richtig suchen, da sie sich nach ihrer Versetzung hinter dicken Architekturfassaden versteckten. Einige waren wirklich schwierig zu finden, manche waren weit weg und selbst die rumänischen Taxifahrer wussten nicht mehr, wo sich die ursprünglichen Kirchen befanden. Manchmal wurde ich in völlig andere Bezirke gefahren und auch nicht zu der Kirche, die ich fotografieren wollte. Die Erinnerung wurde gelöscht – selbst bei der Bevölkerung.

Während des Fotografierens wurde ich natürlich auch von den Anwohnern und von einigen Behörden beobachtet. Ich durfte auch nicht aus jedem Winkel fotografieren. In manchen Gebäudekomplexen war dies sogar verboten und ich wurde teilweise sehr argwöhnisch beäugt, als ich im Winter bei minus 18 Grad mein Stativ installiert hatte. Letztendlich habe ich einen Trick angewandt und habe einige Kirchen defragmentiert – frei nach Gordon Matta-Clark – und erst später habe ich aus zwei Fotografien wieder ein Bild gemacht und die Kirchen wieder zusammengesetzt.

Das sieht man ihnen natürlich nicht an, so präzise hast du sie geteilt.

Ich habe sehr präzise im Photoshop gearbeitet. Die Ironie der Geschichte zeigt – auch ich musste manche Kirchen zerschneiden, um sie später als ein Ganzes wieder zusammenzufügen. Und ich habe mir auch immer wieder selbst die Frage gestellt, ob der Ingenieur die Kirche jetzt eher auf die Vertikale oder die Horizontale geteilt hätte und ob er den amerikanischen Künstler Gordon Matta-Clark gekannt hatte.

Wie gehen die Rumänen mit ihrer eigenen Geschichte um?

Man wird suspekt angesehen, wenn man die Archive betreten möchte oder etwas in ihnen sucht oder nach etwas fragt. Die Archive sind chaotisch, nichts ist geordnet, man kommt sich vor wie ein Eindringling. Und eigentlich wollen sie sich selbst gar nicht richtig mit ihrer eigenen Geschichte auseinandersetzen. Es ist absurd – aber so funktioniert das Land Rumänien.

Vermisst du Bukarest?

Manchmal schon. Aber ich bin relativ oft dort. Mein Vater ist noch dort und ich habe viele Freunde und Verwandte, die in der Stadt leben. Außerdem gibt es in meiner Familie auch einige Fotografen, Tänzer, Bühnenbildner und Schriftsteller. Wir tauschen uns daher auch immer über unsere künstlerische Arbeit aus. Mein Vater selbst ist aber Chemiker. Er hatte mir für ein Projekt einmal einige Polaroids aus den 70er Jahren zur Verfügung gestellt, die ich nun für ein Projekt verwenden darf. Ich beziehe oft die Familienarchive in meine künstlerische Arbeit mit ein. Mein Vater hat mir viel mitgegeben. Er hat wirklich viel gesehen in dieser Stadt in all den Jahrzehnten.

Das Osteuropa hat sich stark verändert. Ich war selbst lange nicht mehr in Rumänien und würde mir gerne vor Ort die Veränderungen anschauen, die in den letztern Jahrzehnten stattgefunden haben.

Für mich, der ich so oft dort bin, war es ein begleitender Prozess. Ich habe alles hautnah miterlebt und mit meiner fotografischen Arbeit decke ich ein kleines Spektrum der Veränderungsprozesse ab. Daher habe ich im Gegensatz zu dir – gar nicht das Gefühl, dass sich soviel verändert hat. In Bukarest ist auch alles nicht so homogen und nüchtern wie in Deutschland. Ich will jetzt nicht wieder sagen, dass es chaotisch ist, aber man merkt einfach, dass man sich in einer anderen Kultur befindet und die Menschen eine andere Mentalität haben.

Und wenn ich Chaos sage, ist das auch nicht negativ gemeint. Die Stadt ist einfach anders als nordeuropäische Städte. Hinzu kommt auch noch die Diktatur und das Regime, welches wir über viele Jahre miterleben mußten.

Mich interessieren Umbrüche und Transformationsprozesse. Ich bin auf den Spuren der  Erinnerungskultur in Rumänien. Das liegt mir sehr am Herzen. „Mobile Churches“ ist daher auch ein Langzeitprojekt. Ich habe von 2013 bis 2017 daran gearbeitet. Ich wollte nichts inszenieren und habe immer im Winter fotografiert, auch weil da die Blätter der Bäume abwesend waren und ich auch zum Teil durch Äste hindurch fotografieren konnte. Das Projekt hatte verschiedene Facetten und Arbeitstitel gehabt, verschiedene Herangehensweisen und Möglichkeiten, die ich mir bis zum Schluss offen hielt. Meine erste Ausstellung zu dieser Serie fand auch in Bukarest statt. Ich wollte unbedingt in dieser Stadt starten. Der Raum hieß Atelier 35, und zeigt seit den 70er Jahren verschiedene Ausstellungen unterschiedlicher Künstler.

Kommen wir zurück zu den Ausstellungsformaten. Für welche Präsentationsformen entscheidest du dich?

Die Ausstellung in Paris in der Kirche Saint Germain des Prés und in Berlin in der Kirche der Versöhnung an der Berliner Mauer wurden beide von der Herausgeberin und Kuratorin Sonia Voss kuratiert und wir haben uns gemeinsam entschieden, dass wir site specific arbeiten und auf den architektonischen Raum eingehen. In Anlehnung an die orthodoxe Ikonenmalerei haben wir uns in Berlin für Holzuntergründe entschieden. Das Foto wurde m Direktdruckverfahren direkt auf Holz gedruckt, die Fotografien in der Gedenkstätte der Berliner Mauer hatte somit einen anderen Träger – ohne Rahmen und ohne Museumsglas.

Faszinieren dich weiterhin Orte der Macht, und was folgt auf „Mobile Churches“ ?

Zeichen der Macht sind in vielen Metropolen ähnlich. Orte, loci, interessieren mich. Ich arbeite gerade an einem Video Berlin/Bukarest. Erinnerungskultur und Erinnerungstechnik sind noch nicht erschöpft. Meine Frau Lotte hatte mich damals darauf aufmerksam gemacht, dass die Bukarester oder ältere Bürger sich an jenen Orten bekreuzigen, wo ehemals die Kirchen standen. Die Bukarester wissen, wo sich die ursprünglichen Kirchenfundamente befanden. Diese Orte waren ja auch heilig – und das über viele Jahrzehnte, gar Jahrhunderte. Und somit begann mein Projekt. Aber auch nach dem Buch „Mobile Churches“ gibt es viele Facetten, die mich interessieren. Meine Recherche im öffentlichen Raum ist noch nicht beendet.

Interview: Nadine Ethner, 2018

© Anton Roland Laub, "Annunciation Church", aus Mobile Churches