#SHORTCUT Sarah Straßmann
Ordnungen und ästhetische Repräsentationsformen sowie Symboliken eines Ortes hinsichtlich geschichtlich kultureller und subjektiv emotionaler Bedeutung sind wichtige Ausgangs- und Bezugspunkte ihrer Serien. Die Künstlerin erweitert kontinuierlich ihr Repertoire und setzt zunehmend dem fotografischen zweidimensionalen Aspekt Raum-Installationen und Skulpturen entgegen.
Sarah Straßmann (*1980) studierte Fotografie und Medien an der FH Bielefeld. Sie promovierte in Freier Kunst an der Bauhaus Universität Weimar. Sarah Straßmanns Arbeiten sind in Sammlungen wie der Bundeskunstsammlung Bonn, dem Ruhrmuseum Essen, dem Landschaftsverband Westfalen Lippe, der Graphothek Berlin, dem Deutschen Historischen Museum oder der DZ Bank Kunstsammlung Frankfurt/ Main vertreten.
Nadine Ethner im Gespräch mit Sarah Straßmann
VTph editions: Sarah, neben deiner Arbeit an deinen fotografischen Projekten lehrst du seit einigen Jahren als künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hildesheim und bist seit Sommer 2021 auch als freie Dozentin an der Fachhochschule Bielefeld. Was reizt dich an der Arbeit mit den Studierenden und inwieweit fordern sie dich heraus?
Sarah Straßmann: Unabhängig von der Lehre, ich freue mich über die Legitimation viel lesen, recherchieren und Neues lernen zu müssen. Meine Seminare sind thematisch eng mit meinen künstlerischen Projekten verknüpft. Recherchen aus der Uni Tätigkeit nutze ich in meiner künstlerischen Arbeit, während Erfahrungen aus meiner künstlerischen Praxis in die Lehre fließen. Das gelingt wahrscheinlich deshalb gut, da ich schon immer eine eher konzeptuelle Arbeitsweise in meinen künstlerischen Projekten verfolgt habe. Thematisch heißt das, auf der Basis von Fotografie interessiere ich mich für Repräsentations- und Wahrnehmungsfragen von Raum im Bild, vom Bild im Raum, aber auch für Gebrauchsweisen mobiler Fotografie im Kontext von Internet und Social Media. Also im weitesten Sinne auch hier für Raum, nämlich Kommunikationsräume. Das sind die Schwerpunkte meiner künstlerisch-wissenschaftlichen Arbeit und damit müssen sich dann auch meine Studierenden beschäftigen…
Die Aufgaben an den jeweiligen Hochschulen unterscheiden sich sehr. In Bielefeld handelt es sich um Studierende der Fotografie, während es in Hildesheim ein Studium der „Kulturwissenschaft und ästhetischen Praxis“ ist. Für mich als Künstlerin ist das insofern eine Herausforderung, da ich keine studierte Kulturwissenschaftlerin bin. Durch mein Promotionsstudium in Freier Kunst habe ich zwar ein recht ordentliches Hintergrundwissen im Bereich Visual Culture Studies und Fototheorie, muss mir aber grundsätzliche kulturwissenschaftliche Diskurse erst aneignen, bevor ich sie vermitteln kann. Und hier schätze ich die Aufmerksamkeit der Studierenden sehr, ihre oft kritische Haltung, ihre Nachfragen. Es gilt möglichst genau zu sein, sowohl künstlerisch als auch theoretisch. Das färbt ab, auf die eigene Arbeit, hilft eine konsequentere Haltung zu entwickeln, aber auch, diese besser reflektieren und in entsprechende Diskurse einordnen zu können.
VTph editions: Deine Arbeit wurde schon oft in öffentlichen Häusern ausgestellt, z.B. in den Deichtorhallen in Hamburg, oder im Kunstverein Konstanz – aber du wirst auch in verschiedenen Galerien vertreten, wie in der Galerie Monica Ruppert in Frankfurt/Main und in der Sandau & Leo Galerie Berlin, oder bist in Künstlerkollektiven wie der Projektgalerie pilote contemporary aktiv. Wie sehr beeinflusst eine kuratierte Ausstellung deine Arbeits- und Denkweise, und wie nutzt du den dir zur Verfügung stehenden Raum für deine räumlichen Installationen?
Große kuratierte Gruppenausstellungen finde ich insofern spannend, da man hier von den eigenen Arbeiten zurück tritt. Die Kurator*innen verfolgen individuelle Pläne, fragen bestimmte Arbeiten an, Plätze im Ausstellungsparcours werden zugewiesen, der eigene künstlerisch-kuratorische Spielraum ist recht gering. Ich schätze das durchaus, denn es entsteht ein gewisses Feedback. Wie gehen andere mit meiner Arbeit um? Das kann eine interessante Resonanz ergeben, die durchaus konträr zur persönlichen Wahrnehmung, aber reflexiv hilfreich ist.
In anderen Fällen kommt man in einen Austausch, so geschehen z.B. in meiner Einzelausstellung im Kunstverein Konstanz 2019. Hier habe ich, angeregt durch gemeinsame Gespräche, einen Teil der Arbeiten in situ realisiert. Durch die intensive Begleitung der Kuratorin konnte ich mein Projekt „Expanded Pictures“ im Kunstverein nochmals erweitern. Solch eine Ausstellung ist natürlich ideal, da es sich um einen Prozess handelt. Tatsächlich sehe ich in der Weiterentwicklung meiner Arbeiten auch das eigentliche Ziel von Ausstellungen. Ich zeige oft Projekte, die noch nicht abgeschlossen sind und lote aus wie diese räumlich am besten funktionieren. Selbst organisierte Ausstellungen bieten hier sicher das größte Potential.
Bei meinen Präsentationen versuche ich stets Inhalt und Ästhetik der Arbeiten durch ihre Ordnung im Raum weiter zu denken und wiederum Eigenheiten eines Raums gewinnbringend für die Arbeiten zu nutzen. Dabei möchte ich eine ästhetische Spannung erzeugen, die sich zwischen Arbeiten, Raum und Betrachtenden ergeben könnte. Wenn ich einen Ausstellungsort das erste Mal sehe, entwickelt sich schnell ein mögliches Installationskonzept, das sich während der Aufbauphase konkretisiert. Ich lasse den Raum auf mich wirken, kenne meine Arbeiten und letztlich gibt es nur eine einzige, fast zwingende Installationsvariante die sich richtig anfühlt. Dieses Vorgehen kann ich leider nicht besser beschreiben, so theoretisch eingebettet meine Arbeiten oft sind, im Ausstellungskontext sollten sie auch auf einer rein ästhetischen Ebene funktionieren und hier zählt ausschließlich meine individuelle Intention.
VTph editions: Das Projekt „The Kingdom“ arbeitet mit dem Bild im Raum, seiner Oberfläche und strukturellen Beschaffenheit. Andere Projekte wie „Opposite“ sind ongoing projects. Wie sehr bedingen sich die verschiedenen Serien und bauen aufeinander auf?
Tatsächlich habe ich lange gebraucht um zu verstehen, was ich in meiner künstlerischen Arbeit tue, dass es sich um eine Suche, um eine Standortbestimmung handelt. Kulturwissenschaftlich kann ich es heute herunter brechen: Wir bewegen uns gesellschaftlich in einer Art fluidem „Zwischenraum“, sowohl medial als auch räumlich und zeitlich. Zur Konstitution des eigenen Selbst benötigt es stets eine physische Referenz, ein „sich in ein Verhältnis setzen“ in dieser Welt. Wir durchschreiten Räume in Relation zu unserem eigenen Körper und können – im Idealfall – ausloten wo und wer wir sind. Räume werden aber auch imaginiert, konstituieren sich bildlich, woraufhin Bilder wiederum Räume fiktiv konstruieren. Fotografie ist in diesem Sinne ein Medium par excellence um dieses Verhältnis zu untersuchen, befindet es sich doch selbst in einer Art „Zwischenraum“, sowohl was seine Materialität als auch seine Gebrauchsweisen angeht.
In diesem Sinne bin ich stets auf der Suche nach einer Referenz, eigne mir in allen meinen fotografischen Projekten Räume an, erforsche ihre Dimensionen, ihre Materialität, ihre kulturelle Verfasstheit und überführe dies in symbolische Bilder, woraufhin sich neue imaginäre Räume öffnen. Angefangen mit dem Projekt „The Void“ (2008), damals habe ich leere Räume, die meist nur durch Licht und Schatten definiert wurden fotografiert. In „Opposite“ (seit 2009) kamen Objekte hinzu, die ich fotografisch im Verhältnis zum Raum und auch in Bezug zu ihren Oberflächen hin untersucht habe. In den Serien „The Chase“ (2015) und „Shifting“ (2015-2019) geht es zusätzlich um Raum und Repräsentation, um museal inszenierte, auch imaginierte Räume. Und zuletzt in „The Kingdom“ (seit 2018) breche ich nun den zweidimensionalen Bildraum auf, falte und baue fotografische Objekte, die sowohl das Fotografische als auch Räume neu konstruieren. Insofern würde ich sagen, es ist auch der Prozess der mich interessiert. Einige Projekte sind entsprechend „ongoing projects“, denen ich auch über Jahre hinweg noch etwas hinzuzufügen habe.
VTph editions: Erzähl uns gern mehr über deine neuen Projekte. Woran arbeitest du aktuell und welche Serien und Projekte schweben dir zukünftig vor?
Ich arbeite meist an mehreren Projekten parallel. Im Moment bin ich z.B. dabei weitere Papierobjekte für die Arbeit „The Kingdom“ zu bauen. Man muss dazu sagen, dass diese Objekte auf Handyaufnahmen basieren, die ich 2018 während einer Residency im Südosten der Türkei aufgenommen habe. Hier zieht sich eine Bergkette durch die Landschaft, in die umfangreiche architektonischen Anlagen geschlagen wurden. Treppen, Säulen, Räume wurden den Felsen quasi abgerungen. Mit der Panoramafunktion des Handys habe ich diese Formen und Strukturen aufgenommen und konstruiere nun via Faltung einen neuen Raum, der wiederum der Fotografie neue Dimensionen abringt.
Ich stelle aber auch gerade eine Arbeit fertig, die aus 24 einzelnen 21x21 cm großen Farbfeldern besteht und gerahmt als Tableau präsentiert wird. Hier habe ich eine graue Fläche durch 23 Instagramfilter laufen lassen und jedes Mal kam ein anderer Pastellton heraus. Die Arbeit heißt „Natural Grey 80%“, da es sich bei der Ursprungsfarbe um ein generiertes mittleres Grau handelte, was um 80% heller gezogen wurde. Die Arbeit spielt auf unsere Wahrnehmung an, auf unser Verhältnis von wirklichem zu virtuellem Raum und markiert einen Grenzbereich, der inzwischen vielfach durch Algorithmen bestimmt wird.
Neben diesen laufenden Projekten recherchiere ich aktuell für eine neue Arbeit und da möchte ich wieder zur klassischen Fotografie zurück kommen. Ich interessiere mich momentan stark für sogenannte „Räume der Gegenwart“. Dazu zähle ich Begriffe wie „Asyl“, „Cloud“, „Krisenregion“, „Deponie“, aber auch „Coworkingspace“, „Spa“, „Quarantäne“ oder „Reservat“. Das sind Räume und Orte, die für die kulturellen Konflikte und gesellschaftlichen Paradoxien unserer Zeit stehen könnten. Hier möchte ich relevante Bilder finden.
Ich kann nicht behaupten, dass meine Versuche einer persönlichen Standortbestimmung bis heute je erfolgreich gewesen wären. Letztlich ist es ja auch eine viel zu große Suche. Entsprechend nutze ich meine Arbeiten wie einen Katalysator, sie beantworten nichts, sie werfen bestenfalls neue Fragen auf.
Interview: Nadine Ethner
© Valentin Seuss, Installation view Sandau & Leo Galerie Berlin / Portrait privat