SPOTLIGHT // HOME AGAIN – Migration | Zuhause | Erinnerung
Die Welt befindet sich in einem Prozess der Transformation, welcher sich in einer zunehmenden Zahl von Krisen äußert. Durch die Globalisierung, den Klimawandel, technologische Entwicklungen, Kriege und deren weitreichende Folgen, sowie politische und demografische Veränderungen verschwinden bekannte Strukturen, ohne dass neue Ordnungen sie bereits vollständig ersetzt hätten.
Wie finden Menschen während und nach Krisen zueinander? Wie zurück zu ihrer Mitte? Wie ihr, vielleicht auch neues, Zuhause? Die Gruppenausstellung HOME AGAIN zeigt 14 Positionen zeitgenössischer Fotografie und Videokunst, die die menschliche Anpassungsfähigkeit einer sich rasant wandelnden Gesellschaft untersuchen. Aufgrund ihrer anhaltenden Aktualität zeigt das Stadthaus Ulm die Ausstellung, die von dem Kuratoren-Team Andy Heller und Oliver Krebs 2022 für das Willy-Brandt-Haus in Berlin konzipiert wurde, in einer erweiterten Form.
Der Dreiklang aus Migration | Zuhause | Erinnerung bildet das Zentrum der Ausstellung, um das sich die einzelnen Positionen gruppieren. Das Medium der Fotografie wird dabei zu einem Instrument, mit dem die Fotografinnen und Fotografen weit über das Dokumentarische hinausblicken und sich mit Reaktionen auf die globalen Transformationsprozesse beschäftigen. Ausgangspunkte sind dabei elementare Themen wie die Klimaerwärmung und der damit verbundene Zerfall von natürlichen Lebensräumen oder die Massenmigration und die fortschreitende Zersplitterung unserer Gesellschaft.
Sich der Ohnmacht zu widersetzen, die Kraft aufzubringen, bekannte Muster aufzugeben und die neuen Realitäten anzunehmen, sind Strategien, die im Umgang mit Krisen von hoher Bedeutung sind. Diese fordern nicht nur unsere Resilienz, sondern bieten auch eine Chance, stimmigere Ordnungen zu formulieren, sich neu zu beheimaten und als Gemeinschaft zueinanderzufinden.
Genau hinzuschauen und herauszufinden, welche Lösungen die Gemeinschaft dabei favorisiert, lohnt sich. Denn es sind solche Antworten, die vieles über Werte, Verständnis, Sehnsüchte und unser Zusammenleben verraten.
Kuratiert von: Andy Heller und Oliver Krebs
Projektleitung Stadthaus Ulm: Daniela Yvonne Baumann
Künstlerinnen und Künstler:
M L Casteel / Hannah Darabi / Göran Gnaudschun / Andy Heller / Ulrike Kolb / Oliver Krebs / Eva Leitolf / Wiebke Loeper / Ute Mahler und Werner Mahler / Jana Sophia Nolle / Ingmar Björn Nolting / Peter Piller / Minna Rainio und Mark Roberts / Elena Subach
Eröffnung: Sonntag, 6. Oktober 2024, 11.30 Uhr
Grußwort: Iris Mann, Bürgermeisterin für Kultur, Bildung und Soziales
Einführung: Christin Müller, Kuratorin und Autorin für Fotografie
Göran Gnaudschun, aus der Serie: Das bessere Leben, Mbark, Murcia, Pigmentdruck, 2020, Courtesy Museum Europäischer Kulturen, Berlin / VG Bild-Kunst Bonn 2024
Murcia, ein Ort in Südspanien im Tal des Río Segura. In dieser fruchtbaren Ebene leben Erntehelfer, Flüchtlinge, Aussteiger und Rentner gemeinsam auf der Suche nach einem besseren Leben. Anhand von Portraits und Landschaften erzählt Göran Gnaudschunderen Geschichten und zeigt so Murcia als einen Mikrokosmos, in dem sich die vielen Widersprüche und Ungleichheiten der modernen, globalisierten Welt auf eine menschliche Weise verdichten.
Eva Leitolf, aus der Serie: Postcards from Europe, Attiki-Platz, Athen, Griechenland, Archivpigmentdruck, Archivkarton, 2011 / VG Bild-Kunst Bonn, 2024
Migration ist das globale Phänomen, welches uns die Suche nach Geborgenheit auf drastischste Weise vor Augen hält. Eva Leitolfblickt in ihrer fotografischen Spurensuche auf die europäischen Grenzen und zeigt in nüchternen Bildern Orte des Geschehens –Stationen einer Flucht oder auch Tatorte, deren Bedeutung durch Texte erläutert werden. Über Einzelschicksale wird die Hilflosigkeit und systemische Ineffizienz deutlich, mit der die europäischen Staaten auf die veränderten Realitäten reagieren.
Minna Rainio & Mark Roberts, Maamme/VårtLand/Our Land, Single Screen, Video Installation, 2012
In der Video-Arbeit von Minna Rainiound Mark Roberts finden neu eingebürgerte Finn*innen beim Singen der gemeinsamen Nationalhymne zueinander. Jenseits von Pathos und nationaler Symbolik verdeutlicht dieses Werk über die Musik, dass Nationalität nicht durch Landesgrenzen definiert wird, sondern es sich dabei um eine reine Idee handelt, die veränderlich ist.
Elena Subach, aus der Serie: Chairs, Untitled, C-Print, 2022
Elena Subachwählt das Format des Stilllebens, um dem Unfassbaren Ausdruck zu verleihen –den Emotionen des Leids, des Schmerzes und der Liebe, die sie nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine am Grenzübergang bei Uschhorodbezeugte. Die aus den zerbombten Städten geflohenen Familien warteten oft tagelang in langen Schlangen, um das Land verlassen zu können. Subachsah dramatische Abschiedsszenen, da die Männer gezwungen waren, auf der ukrainischen Seite der Grenze zu bleiben. Statt diese intimen Momente zu stören, fotografierte sie die Stühle als Inseln der Ruhe und des Innehaltens im Chaos von Flucht und Vertreibung.
Hannah Darabi, aus der Serie: Super Highways, 2022
In ihrer Serie „Super Highways“ betrachtet Hannah Darabi die Parallelen des Stadtraumes von Teheran mit dem von Los Angeles. Ausgehend von einem städtebaulichen Masterplan für Teheran, der vor der Revolution 1979 entstanden war, erforscht sie das Wechselspiel zwischen Vertrautem und Fremdem, in der Diaspora des gefundenen Zuhauses.
Andy Heller, aus der Serie: Staygration, Untitled, C-Print, 2020 / VG Bild-Kunst Bonn 2024
Der Klimawandel schafft neue Nischen und Lebensräume. In „Staygration“ zeigt Andy Heller Situationen der Transformation und Anpassung. Einst ein Zugvogel, hat der Storch aufgrund der Klimaerwärmung die Wintermigration nach Afrika aufgegeben und residiert nun in Portugal inmitten von Ballungsgebieten, wo er die vom Menschen geschaffenen Strukturen für sich nutzt. Hellers Fotografien und Videoloops zeigen Landschaftsbilder dieser neuen Co-Existenz und thematisieren das komplexe Verhältnis von Mensch und Natur.
Ute Mahler & Werner Mahler, aus der Serie: An den Strömen, Donau #127, Silbergelatineabzug auf Barytpapier, 2019, Courtesy Galerie Springer Berlin / VG Bild-Kunst Bonn 2024
Ströme sind Lebensadern, auf ihnen verbreiten sich gesellschaftliche, ökologische, politische, wirtschaftliche und religiöse Ideen. So verbinden sie Europa. Zehn Flüssen folgend, zeigen Ute Mahler und Werner Mahler ausschnitthaft das Leben, die Architektur und die Menschen entlang der Ströme und schaffen so ein Porträt des Kontinentes, das die Wechselbeziehungen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Orte herausarbeitet.
Jana Sophia Nolle, aus der Serie: Living Room, #10 San Francisco, Archival Pigment Print, 2017/18, VG Bild-Kunst Bonn 2024
Jana Sophia Nolle nutzt das Wohnzimmer –gleichermaßen ein intimer Ort familiärer Zusammenkünfte als auch der Repräsentation –als Bühne, um Fragen zu sozialer Gerechtigkeit und der immer weiter aufklaffenden Schere von Arm und Reich zu stellen. In ihren Bildern treten temporäre Obdachlosenbehausungen in Kontrast zum Prunk und Wohlstand bürgerlicher Einrichtungen und schaffen einen Dialog, der bei den Obdachlosen und den Gastgebern Spuren hinterlässt.
Peter Piller, aus der Serie: Von Erde schöner, C-Print, 2002–2004 (Detail), Courtesy Capitain Petzel, Berlin / VG Bild-Kunst, Bonn 2024
2002 übernahm Peter Piller einen Nachlass von über 20.000 Luftaufnahmen, die Einfamilienhäuser zeigen. Das Konvolut bietet überraschende Einblicke in das Privatleben bundesdeutscher Eigenheimsiedlungen. Piller ordnete das Archivmaterial und schuf dafür Kategorien wie beispielsweise „Behelfsheime“, „schlafende Häuser“, „Mensch vor Haus“ und „Rasenmähen“. Durch ihre formale Ähnlichkeit lenken die Bilder den Blick auf eine Ornamentik des Siedelns und zeigen einen kollektiv gelebten Kanon, der Zugehörigkeit und Identität stiftet. Hinter dieser Ordnung stehen Menschen, ihre Träume und Wünsche.
M L Casteel, aus der Serie: American Interiors, Untitled (Gun & Hamburger), Archival Pigment Print, 2014
Geschichten des Krieges sind ein fester Bestandteil der Fotografie. In „American Interiors“ blickt M L Casteelauf Veteranen, die von der Front aus Afghanistan und dem Irak zurückgekehrt sind und alleingelassen mit ihren Traumata isoliert am Rande der amerikanischen Gesellschaft leben. Casteelfotografierte das Innere ihrer Autos –oft ihr letzter Zufluchtsort und Rückzugsraum auf der Suche nach Halt und Geborgenheit und ein Spiegelbild ihrer inneren Zerrüttung, aber auch ihrer Sehnsüchte und Träume.
Ulrike Kolb, o. T. (Museum), Archival Print, 2016
Museen und Archive schaffen über ihre Sammlungen Geschichtserzählungen und Realitätsinterpretationen, denen in Gesellschaften identitätsstiftende Wirkung zukommt. Was gilt es zu bewahren und was müssen wir vergessen? Mit ihren dort entstandenen Fotografien geht Ulrike Kolb genau dieser Frage nach, die elementar wird, wenn es um die Weitergabe von Wissen und Gewissheiten geht.
Oliver Krebs, aus der Serie: Signal & Rauschen, ohne Titel, C-Print, 2018 / VG Bild-Kunst Bonn 2024
Wir nehmen ständig Signale wahr –Zeichen, Symbole und Realitätspartikel, die wir im Ringen von Wahrnehmung und Deutung zu einem Bild verdichten. Es sind solche Bilder, die wir in unserem Gedächtnis bewahren. Sie verhelfen uns zur Orientierung, zum Verständnis und zur Kommunikation. Oliver Krebs zeigt, wie sehr unsere Erinnerung von Standbildern geprägt ist, die wir subjektiv zusammensetzen. Dafür entwickelte er bewusst eine Ästhetik, die zwischen dem klassischen fotografischen Blick und dem metaphorischen Wesen der Malerei oszilliert, um Bilder zu schaffen, die gleichermaßen Signal und Rauschen sein können.
Wiebke Loeper, aus der Serie: MOLL 31, Projektion, 1995 / VG Bild-Kunst Bonn 2024
Die Wende 1989 war für viele ostdeutsche Familien Auf-und Zusammenbruch, mit all ihren Verlusten, Sehnsüchten und Widersprüchen. Wiebke Loeper montiert Familienfotos ihrer eigenen Kindheit in der DDR mit späteren Aufnahmen des einstigen Heims, um sich mit ihren persönlichen Erinnerungen, aber auch den kollektiven Träumen und dem Lebensgefühl einer bestimmten Zeit in einem nicht mehr existierenden Land auseinanderzusetzen. Dadurch macht sie die Verwerfungen und Transformationsprozesse, die (Ost-)Deutschland nachhaltig prägten, auf konkrete Weise erlebbar.
Ingmar Björn Nolting, aus der Serie: About theDays ahead, Inkjet-Print, 2020 / VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Die Angst vor dem Corona-Virus veränderte das Zusammenleben. Ingmar Björn Nolting reiste während des ersten Corona-Lockdowns im März 2020 durch Deutschland und legte dabei über 25.000 Kilometer zurück, um die Auswirkungen der Pandemie und eine fast komplett stillgelegte Republik zu dokumentieren. Das dabei entstandene Fotoessay zeigt eine Gesellschaft, geprägt von Isolation, Verzweiflung und dem unbedingten Willen, zurück zur Normalität zu finden.
(Presse: Stadthaus Ulm)
HOME AGAIN – Migration | Zuhause | Erinnerung
6. Oktober 2024 bis 12. Januar 2025
Eröffnung: Sonntag, 6. Oktober 2024, 11.30 Uhr
Grußwort: Iris Mann, Bürgermeisterin für Kultur, Bildung und Soziales
Einführung: Christin Müller, Kuratorin und Autorin für Fotografie
Münsterplatz 50
89073 Ulm
https://stadthaus.ulm.de/home-again