#SHORTCUT Göran Gnaudschun
"In offener Landschaft, ohne Kompass und Richtung, sollte man Flüssen folgen“, so ein Hinweis des Künstlers auf den Titel. Gnaudschun beschäftigen die Wege, die sich aufzeigen, wenn Finsternis das eigene Lebensgelände unpassierbar macht, es einer Neuorientierung bedarf. Er sieht sich selbst als Fährtenleser, sucht Spuren, geht ihnen nach und schafft den Abgleich seiner Innenwelt mit den Bildern der Außenwelt.
Göran Gnaudschun (*1971 in Potsdam) studierte 1994 bis 2003 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Timm Rautert künstlerische Fotografie und Bildende Kunst. Von 2016 bis 2017 erhielt er das Stipendium der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom und 2018 den Brandenburgischen Kunstpreis. Er lehrt an der Ostkreuzschule für Fotografie Berlin.
Nadine Ethner im Gespräch mit Göran Gnaudschun
VTph editions: Göran, wir kennen sehr viele unterschiedliche Serien von dir, Arbeiten, die sich mit dem sozialen Raum in der Gesellschaft auseinandersetzen, aber die Arbeit „I follow rivers“ ist eine sehr persönliche Arbeit, die du 2015 begonnen hast. Hier stellst du dir selbst existenzielle Fragen. Möchtest du uns noch ein bisschen mehr darüber erzählen?
Göran Gnaudschun: Die Idee für diese Arbeit ist mir 2018 in Rom gekommen. Ich hatte für ein Jahr das Villa-Massimo-Stipendium und konnte dort sehr frei arbeiten. Neben meiner Arbeit „Are You Happy?“ sind immer auch freiere, impulshaft fotografierte Bilder entstanden, die alle von einem ähnlichen Grundgefühl getragen werden. Später habe ich dann in meinem Archiv nach weiteren Bildern gesucht, die dieselbe Intensität und Offenheit haben und auch in Deutschland weiter fotografiert.
„I follow rivers“ ist für mich eine Arbeit über Schmerz. Ausgelöst vom Ende einer Liebe und dem Abschied von einer ganzen Familie, geht es um das „Nie wieder“, um Trennung, Desorientierung, um tiefe Löcher, in die man während eines Lebens fallen kann. Aber es geht auch um einen zarten Neubeginn. Wer sich in unbekanntem Gelände verlaufen hat, folgt am besten Wasserläufen. Diese führen in bewohnte Gegenden, zu anderen Menschen, irgendwann.
Die Arbeit ist sehr dicht an meinem Leben dran – in dem was man sieht und in dem was man als Metapher lesen kann. Und wenn es persönlich wird, muss man so ehrlich zu sich sein, wie es nur geht. In dieser vielleicht auch schonungslosen Subjektivität kann ich mit dem Betrachter in Resonanz kommen und in ihm etwas anrühren. Im besten Fall kann ich meine Selbsthinterfragung an den Betrachter weitergeben.
VTph editions: Diese Serie ist nicht ganz so homogen wie andere Serien, in anderen Serien arbeitest du stringenter. Vor allem, wenn du Menschen portraitierst ist eine klare Handschrift von dir erkennbar.
Erlebst du das selbst als Bruch in deiner Arbeitsweise?
GG: Jedes Bild steht für sich in dieser Arbeit, nimmt aber immer auch Kontakt zu allen anderen Bildern auf, sodass sich Assoziationsketten von Bild zu Bild spannen lassen. Ich setze in „I follow rivers” ganz unterschiedliche Stile ein – vielleicht ist es eine Arbeit, die von fünf verschiedenen Fotografen hätte stammen können. Vielleicht sind diese ja auch alle in mir?
Zuerst bin ich den Einzelbildern gefolgt, ohne auf andere Bilder zu achten. So gibt es schwarzweiße und farbige, analoge und digitale, streng komponierte und wie beiläufig wirkende Fotografien. Das Gefühl musste einfach stimmen. Am Ende war ich selbst überrascht, wie sehr sich alles ineinanderfügte. Jede einzelne unterschiedliche Form fängt die andere auf. Ein Bruch ist das aber vermutlich nicht, eher eine Erweiterung.
VTph editions: Obwohl einige Fotografien in Schwarzweiß und andere in Farbe sind, hast du dich bei einigen Bildern auch für die Umwandlung in eine Cyanotypie entschieden. Warum nutzt du diese Sondertechnik, die auf einem sehr alten Verfahren beruht?
GG: Mit der Sondertechnik der Cyanotypie habe ich mich auseinandergesetzt, weil ich noch eine weitere Ebene hinzufügen wollte, eine, die sich dem „Malerischen“ annähert. Ich glaube, das muss ich kurz erklären: Fotografie ist ein ganz anderes Medium als die Malerei, obwohl am Ende ein Bild entsteht. Mit dem „Malerischen“ meine ich das Ungefähre, das Offene, dass sich der schnellen Deutung ein wenig entzieht. Das, was es direkt zu sehen gibt, löst sich von der Fotografie ab, von dem, was da war. Es wird universeller. So sehr, dass nie jemand auf die Idee kommen würde zu fragen, wann und wo und unter welchen Umständen das Bild fotografiert wurde.
Mit einfachen Motiven wollte ich etwas Mehrdeutiges erzeugen, was sich ein wenig ablöst von der Wirklichkeit. In den Cyanotypien wird das Bild-Sehen stärker als das Abbild-Erkennen. Es sind eigentlich die düstersten Bilder der Serie, die durch den Blauton etwas Klares, fast Kristallines bekommen. Eigentlich haben diese Blaudrucke beides: Wärme und Kälte. Die Wärme entsteht durch das Machen, die eigene Beteiligung am Bild. Es ist schon etwas anderes, ob man eben ein Bild aus dem Drucker zieht, oder ob man sich in einem analogen Prozess befindet und ein selbstgewähltes Papier beschichtet, es mit UV-Licht bestrahlt, dann auswäscht und am Ende das Wasserstoffperoxid hinzugibt, sodass schlagartig der stechend blaue Ton entsteht. Es ist unglaublich faszinierend, weil sich ja alles im Hellen abspielt, weil man alles sieht. Ich bin durch das Händische mehr in das Objekt „Bild“ involviert, das fehlt mir normalerweise. Gleichzeitig kommt durch das stechende Blau etwas Kaltes, Apollinisches in die Arbeit, was dem heißen Atem der Bilder frische Gebirgsluft beimischt.
VTph editions: Ist dieser Blauton auch eine Art Filter, den du über die Realität legst oder wie wählst du die Bilder aus, auf denen du diese Blautöne legen möchtest?
GG: Es ist auf jeden Fall mehr als ein Filter. Es ist eine Verschiebung. Eine Blauverschiebung.
VTph editions: Woran arbeitest du gerade und was werden wir hoffentlich bald von dir zu sehen bekommen?
GG: Ich bin gerade am Ende einer Arbeit, die aus einer für mich banalen alltäglichen Verrichtung etwas sehr Poetisches entstehen lässt. Mehr wird noch nicht verraten.
Interview: Nadine Ethner
© Göran Gnaudschun, aus der Serie "I follow rivers – Cyanotypien", "Flügel", Berlin, 2019 / Portrait: © Alberto Novelli